zum Hauptinhalt
Deutschland will 1500 weitere Migranten aufnehmen: aber nicht aus Moria, sondern bereits anerkannte Asylfälle.

© Carsten Rehder/dpa

Wie weiter nach dem Brand in Moria?: Deutschland hilft – Athen entscheidet, wie

Im Konflikt zwischen Humanität und Ordnung will die Bundesregierung mehr Flüchtlinge aufnehmen - aber andere, als hilfsbereite Städte wünschen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Ein bisschen Laotse täte dem Streit gut. Was sollen Griechenland, Deutschland und Europa nach dem Brand in Moria tun? „Gib einem Hungernden einen Fisch, und er wird einmal satt. Lehre ihn Fischen, und er wird nie wieder hungern“, riet der chinesische Philosoph.

In der Not ist beides geboten: Soforthilfe und Nachhaltigkeit. Humanität und Ordnung. Sie sind kein Entweder- Oder. Sie müssen in eine Balance gebracht werden. Sonst wird das Eine zum Hindernis für das Andere. In Deutschland möchten viele helfen, weit mehr als in anderen EU-Ländern. Das ist anrührend. Zum Gutteil haben sie aber sehr bestimmte Vorstellungen von ihrer Soforthilfe: Ausfliegen der Flüchtlinge nach Deutschland.

Furcht vor Nachahmung: die Lager zerstören

Wo aber bleibt die Bereitschaft, die Einwände der Griechen und anderer Europäer ernst zu nehmen? Sie warnen, die Brandstiftung in Moria dürfe sich nicht als Weg erweisen, wie man unter Umgehung von Asylverfahren in die Wohlstandszentren der EU gelange. Dann würden auch Flüchtlinge anderswo ihre Lager zerstören.

Möchte sich nicht durch Brandstiftung erpressen lassen: Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis will Insassen des Lagers Moria nicht in andere EU-Länder ausreisen lassen.
Möchte sich nicht durch Brandstiftung erpressen lassen: Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis will Insassen des Lagers Moria nicht in andere EU-Länder ausreisen lassen.

© Francisco Seco/AP Pool/dpa

Umgekehrt klagen die Hilfsbereiten Griechenland und die EU zu Recht an: Ihr habt es seit Jahren an Humanität fehlen lassen. Kommt uns jetzt nicht mit dem Ruf nach Ordnung.

Mitsotakis will Flüchtlinge nicht ausreisen lassen

Schon naht der nächste Eklat. Die Bundesregierung will unter dem Druck der Hilfsbereiten mehr Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen. Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis droht parallel, er lasse keine Moria-Flüchtlinge in andere EU- Staaten ausreisen. Das empört die Deutschen. Aber er weiß, die Mehrheit der EU unterstützt diese Linie.

[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty.]

Tatsächlich haben es die EU und ihre Mitglieder seit Jahren an beidem fehlen lassen: an Humanität und Ordnung. Die Umstände in den Lagern waren inhuman. Wegschauen gehörte zum Kalkül. Die Verhältnisse sollten abschrecken, damit es nicht zu neuen Migrationswellen kommt.

Das hat funktioniert, die EU hat die Zeit aber nicht genutzt, um ein System aufzubauen, das garantiert, was sie verspricht: Verfolgte erhalten Schutz. Wer das nur vorgibt, wird abgeschoben. Die Prüfung erfolgt im ersten EU-Land, zügig und unter humanen Umständen.

Der EU fehlt die Balance: Zu viel Abschreckung, zu wenig Humanität

Das Handeln der EU hat Schlagseite. Bei harten Maßnahmen wie den Rückführungsabkommen mit der Türkei und anderen Ländern sowie dem Grenzschutz kommt sie voran. Nicht aber bei der Humanität und zügigen Asylverfahren.
Wie findet Europa zu einer besseren Balance? Mit mehr Pragmatismus, mehr Offenheit für Argumente des Gegenlagers und mehr Bemühen, nicht in die Verhaltensmuster von 2015 zurückzufallen. Die Zahl der Neuankömmlinge ist drastisch zurückgegangen. Die Hartherzigen hätten allen Grund, es mit weniger Abschreckung und mehr Humanität zu versuchen.

Die Hilfsbereiten in Deutschland sollten sich auf griechische Vorschläge einlassen. Soforthilfe in Griechenland statt Ausfliegen nach Deutschland. Unterstützung beim Aufbau eines humanen Moria und der Beschleunigung der Asylverfahren.

Warum findet Berlin so wenig Verbündete in der EU?

Deutschland muss sich zudem fragen, warum es so wenig Verbündete in der EU für seine Vorstellungen findet. Wie 2015 wird deutsches Vorpreschen erneut zum Hindernis für gemeinsame Politik. Die Einen sind genervt, wenn Berlin den Kurs vorgibt. Die Anderen nehmen es als Ausrede, dass sie nicht gefordert sind. Wenn die Deutschen das allein auf sich nehmen wollen – bitte sehr.

[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräteherunterladen können.]

Angela Merkel und ihr Kabinett winden sich unter den gegenläufigen innen- und außenpolitischen Druckverhältnissen. Sie wollen auf die Hilfsbereiten eingehen und zugleich Mitsotakis bei der Stabilisierung helfen. Er agiert europäischer und effektiver als sein linker Vorgänger Tsipras. Unter deutschem Vorsitz soll die EU zudem einen Migrationspakt schließen.

Am Ende Kompromisse: zu wenig und doch ein Fortschritt

Das Ergebnis sind Kompromisse: Deutschland wird Griechenland nicht in erster Linie Flüchtlinge aus Moria abnehmen, sondern anerkannte Asylbewerber vom Festland. Moria wird aufgebaut. Die meisten Insassen müssen dort den Ausgang ihrer Asylverfahren abwarten. Die EU teilt sich mit Griechenland die Verantwortung dafür, dass humanitäre Verhältnisse einkehren.

Das ist zu wenig zu spät. Und doch ein Fortschritt. Es braucht eine nachhaltige gemeinsame Lösung, damit nicht bei jeder neuen Notlage wieder der Grundkonflikt in aller Härte aufbricht. „Koalitionen der Willigen“ sind keine Dauerlösung. Sie zeigen nur jedes Mal erneut, wie gespalten die EU ist. Mehr Nachhaltigkeit und Ordnung sind nötig, damit Soforthilfe seltener gebraucht wird.

Zur Startseite